Auge in Auge – ein fantastisches Erlebnis, wie es nur Wenigen jemals vergönnt ist.

Jaguar in Tortuguero

Jaguar in Tortuguero

Den Jaguar zu Gesicht zu bekommen ist ein schwieriges Unterfangen. Obwohl er in Costa Rica noch in freier Wildbahn vorkommt, steht er doch auf der Liste der bedrohten Arten. Darüber hinaus ist der Jaguar nachtaktiv und scheu. Männliche Jaguare verfügen mitunter über Reviere, die bis zu 200 Quadratkilometer groß sind.
Und während die afrikanischen Großkatzen verhältnismäßig leicht zu entdecken sind dank der offenen Savannen, lebt der Jaguar in Costa Rica im dichten Regenwald. Und somit stellt sich die Herausforderung in der Regel folgendermaßen dar: Ein seltenes Tier, in der Nacht, auf 200 Quadratkilometern dichten und unwegsamen Regenwaldes zu finden, welches nicht gefunden werden will.

Im Nordosten Costa Ricas liegt der kleine Ort Tortuguero – Nationalpark und einer der weltweit wichtigsten Nistplätze für Meeresschildkröten. In den Monaten Juni bis Oktober kommen tausende der langsamen Riesen mühsam aus dem Meer gekrochen, um am Strand ihre Eier abzulegen. Früher wurden die Grüne Meeresschildkröte (oder auch Suppenschildkröte) aufgrund ihres schmackhaften Fleisches hier auch von Menschen gejagt. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Aber auch der Jaguar weiß die leichte Beute und das schmackhafte Fleisch zu schätzen. Über 400 Meeresschildkröten werden rund um Tortuguero jedes Jahr von dem Jaguar getötet – eine Zahl, die nicht erschrecken soll, sondern Anlass zur Hoffnung gibt, dass die Jaguarpopulation hier noch stabil ist.
In der Tat ist das Nahrungsangebot in den Monaten Juni bis Oktober am Strand von Tortuguero so üppig, dass für kurze Zeit die Reviergrenzen verschwimmen und auch aus entfernteren Gegenden die Jaguare in dieser Zeit Tortuguero einen Besuch abstatten. Darüber hinaus müssen die Großkatzen notwendigerweise die Deckung des dichten Waldes verlassen, um nachts den Schildkröten am Strand nachzustellen. Ein weiterer Vorteil Tortugueros für die Sichtung von Jaguaren liegt in dem Umstand, dass das Land hinter der Küsten von breiten Kanälen durchzogen wird, die einem Jaguar keine andere Wahl lassen, als die Deckung des Waldes erneut zu verlassen, um die Wasserläufe zu durchschwimmen.

Tortuguero mag dank dieser Umstände als einer der weltweit besten Orte gelten, um den scheuen Jaguar zu Gesicht zu bekommen. Und dennoch: Im Gespräch mit einem lokalen Bootsfahrer, der jeden Tag die Kanäle befährt, kommt heraus, dass der Jaguar im Schnitt vielleicht alle 9 Jahre einmal zu sehen ist. Oder, wenn man so will, statistisch betrachtet einmal alle 3285 Tage.

An dem Tag, an dem ich ihn endlich zu Gesicht bekam, hatte ich von einem Freund den Tipp bekommen, dass er zwei Stunden zuvor entlang einer der vielen Kanäle gesehen worden war. Als Fingerzeig diente mir ein verschwommenes Fotos des Baumstammes, auf dem er gesessen hatte. Ich überredete unseren Bootsfahrer einen kleinen Umweg zu wagen, um besagten Baumstamm auszuspähen. Die Chancen standen natürlich schlecht, den Jaguar immer noch am selben Flecken anzutreffen. Aber, so argumentierte ich, die Chancen stünden immer noch besser, als an jedem anderen Tag auf eine willkürliche Sichtung zu hoffen.

Und tatsächlich: Schon aus der Ferne war ein verdächtiger cremefarbener Fleck auf dem weißen Stamm auszumachen. Ein kräftiges, junges Jaguarweibchen sonnt sich am Kanalufer! Natürlich hat sie uns in unserem Boot gespannt im Blick – und dieser intensive Blick aus wachen Katzenaugen hat etwas Fesselndes an sich!
Noch einige Sekunden bleibt sie liegen. Dann schließlich steht sie gemächlich auf und schreitet zurück in die Deckung des Waldes, von wo sie uns noch einen Augenblick beobachtet, bevor sie uns den Rücken kehrt. Im Boot schweigen immer noch alle. Überwältigt von dem Erlebnis.

Möglicherweise hat unsere junge Jaguardame im Unterholz Jungtiere gehabt und war aus diesem Grund so standorttreu. Darüber hinaus befand sie sich am strandseitigen Kanalufer – einen „Katzensprung“ entfernt von reicher Beute jede Nacht. Wie dem auch sei, das Glück war uns hold. Die Erinnerung bleibt. Und genug Zeit für ein paar schöne Fotos hat sie uns auch gerade noch gelassen.